Kapitel 8: Resumee

Von welcher Art ist astrologisches Wissen und welchen Grad an Verläßlichkeit hat es? Ist astrologisches Wissen von der Art des Wissens in den Naturwissenschaften - und erreicht den Grad an Verläßlichkeit, den Technik erreicht? Ist es von der Art des Wissens in der Psychologie? Von der Art des Wissens, das "Magier" haben (bzw. zu haben glauben)? Oder gar von der Art des Wissens, wie es ein Gläubiger von Gott hat?

Ein absolut verläßliches Kriterium, um Glauben von Wissen zu unterscheiden, gibt es nicht. Es ist aber möglich, die Art eines bestimmten Wissens zu charakterisieren: Man kann zunächst nach dem Bezugsrahmen fragen, der diesem Wissen seinen Sinn gibt. Für die Wissenschaften wurde der Name "Paradigma" zur Bezeichnung des Bezugsrahmens vorgeschlagen. Es geht dabei um die Frage: Auf welche Glaubens-Sätze stützt sich das in Frage stehende Wissen?

Man kann weiterhin fragen, aus welcher "Erkenntnis-Quelle" dieses Wissen schöpft. Anders formuliert: Welcher "Methoden" bedient man sich, um zu diesem Wissen zu gelangen? Welchen "Weg" muß man gehen?

Man kann auch fragen, wozu mir dieses Wissen dienen könnte: HABERMAS ist der Meinung, daß die von ihm so genannten "erkenntnisleitenden Interessen" die Art des durch das jeweilige Interesse gewonnenen Wissens bestimmen. Für die Psychoanalyse kommt HABERMAS z. B. zu dem Resultat, daß sie dem Analysanden eine Art "Erzähl-Schema" zur Verfügung stelle, anhand derer der Analysand seine Lebensgeschichte "rekonstruieren" könne (1973, 307ff, 315). Die entscheidende Frage bei der Prüfung des Anspruchs der Psychoanalse ist dann: Wie gut eignet sie sich für diesen Zweck? - Wir sind geneigt zu fragen: Aber wie verhält es sich denn "wirklich"? Gibt es ein Unbewußtes? Deckt sich die Beschreibung der psycho-sexuellen Entwicklungsphasen mit den Tatsachen?

Diese Frage, wie etwas denn "in Wirklichkeit" sei, ist jedochz auf komplexe Systeme in dieser Form nicht anwendbar. Die Studien zur Selbstattribuierung zeigen, daß in der Psychologie die Grenze zwischen "wirklich" und "nur gemeint" nicht eindeutig zu ziehen ist. Wir müssen Fragen, die sich auf System-Eigenschaften beziehen, anders stellen als solche, die sich bei der Untersuchung isolierter materieller Objekte bewährt haben. Ein System, das evolviert, ist mit Begriffen der statischen Beschreibung von "Eigenschaften" und "Zuständen" nicht erfaßbar: es "ist" nicht, es "wird". Es reagiert analog einem Programm, das zudem in der Lage ist, seine eigene Stuktur in gewissem Umfang zu verändern.

Über den Zusammenhang Kosmos-Bios oder Kosmos-Mensch steht uns Wissen unterschiedlicher Art zur Verfügung. Wenn man den Bezugsrahmen wählt, der den Naturwissenschaften zugrundeliegt, dann ist es möglich, einfache Kosmos-Bios Zusammenhänge nachzuweisen, die im Einklang mit der "Grundannahme der Astrologie" stehen. Solches am Kriterium des Vorhersage-Erfolgs und der Wiederholbarkeit geprüfte Wissen genießt in unserer Kultur immernoch das höchste Ansehen, da es sich zum "Machen", zur "effektiven Nutzung" am besten eignet (auch in der Psychologie, wie HOLZKAMP gezeigt hat). Ähnlich wie in der Psychologie gelingt es aber nicht, eine Brücke zu schlagen von den Dimensionen, in denen dieses Wissen uns zugänglich ist (die Dimensionen der Existenz materieller Objekte) zu den Dimensionen der "Bedeutung" oder "Sinnhaftigkeit", die für die Seele (und unser Leben allgemein) charakteristisch sind.

Wählt man den der (akademischen) Psychologie zugrundeliegenden (beinahe identischen) Bezugsrahmen, und verwendet solche Methoden, die in dieser Wissenschaft als verläßlich angesehen werden, dann zeigen sich Zusammenhänge, die sogar einige der von Astrologen aufgestellten Interpretations-Regeln bestätigen:

Dazu zählen an erster Stelle die hochsignifikanten Zusammenhänge zwischen bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen und der Stellung von Planeten in ihrer täglichen Bahn, wie sie in den Studien der GAUQUELINs nachgewiesen wurden. Die Methodik dieser Studien entspricht den in der (akademischen) Psychologie üblichen Vorgehensweisen. Auch die Ergebnisse sind ähnlich: statt eines "bedeutungshaltigen" Aussage-Systems (wie z. B. in der Psychoanalyse) werden Aussagen über vereinzelt bestehende Korrelationen gemacht. Liegt die Überzeugungskraft des Wissens der Psychoanalytiker in der "Evidenz" für den Betroffenen (und den Analytiker selbst), so liegt die Überzeugungskraft dieser Studien in der größeren Unabhängigkeit ihrer Ergebnisse von menschlichen &Wahrnehmungs-Fehlern.

Diese Art Wissen steht uns in der Astrologie allerdings in wesentlich geringerem Ausmaß zur Verfügung als in der Psychologie. Angesichts der Ergebnisse der GAUQUELIN'schen Studien sowie der Studien von STARK ist aber vielleicht die Vermutung nicht von der Hand zu weisen, daß es wesentlich subtilerer "Meßmethoden" bedarf, um weitere Kosmos-Mensch-Zuammenhänge mit psychologischen Methoden nachweisen zu können. Die hier vorgelegte Studie hat sowohl theoretisch wie praktisch deutlich gemacht, daß die Frage einer angemessenen Operationalisierung von zentraler Bedeutung ist.

Wie sieht schließlich der Bezugsrahmen der praktizierenden Astrologen aus, die in der täglichen Beratungs-Situation die Astrologie immer wieder bestätigt sehen?
Es ist der Bezugsrahmen des "Laien": "... der natürliche Mensch, der unabhängig von allen 'Autoritäten' seiner eigenen eingeborenen Vernunft folgt." (Siehe Anm. 55) Sein Wissen beruht auf subjektiven Erlebnissen des Erfolgs und der Evidenz. Diese Evidenz erreicht allerdings ein beachtliches Maß an intersubjektiver Übereinstimmung. Und ähnlich, wie HABERMAS es für die Psychoanalyse formuliert, könnte man den Gewinn dieser Art astrologischen Wissens darin sehen, daß es dem Betroffenen differenzierte Kategorien bereitstellt, eigenes Erleben einzuordnen und in einen "sinnvollen" Kontext zu stellen.

Die Symbole der Astrologie sind in dem Sinne lebendig, daß sie Grundbefindlichkeiten der menschlichen Seele repräsentieren, das, was C. G. JUNG (1976) Archetypen nennt. Es liegt in der Natur solcher Archetypen, daß allein das Ansprechen solcher Symbole, das Sich-Vertiefen in "ihre Kraft", ein psychisches "Feld" erzeugt. Solche "Felder" gibt es nicht nur in der Astrologie, wie JUNG gezeigt hat: Es gibt sie z. B. bei der Konfrontation mit dem Thema Tod, dem Thema Geburt, dem Thema Abschied usw. Solche Situationen lösen etwas aus in unserer Seele, bringen in uns etwas "zum Schwingen", das allgemein-menschlich ist. Es sind Ur-Themen, die Ur-Emotionen auslösen.

JUNG hat gezeigt, daß im Umfeld solcher archetypischer Situationen gehäuft "paranormale" Phänomene auftreten, z. B. das "Verabschieden" beim Tod eines nahen Menschen in Träumen oder in Visionen:Erfahrungen, die immer wieder berichtet werden. Die Astrologie als die älteste Typologie der Menschheit hat solche Ur-Themen in kräftigen Bildern festgehalten, so z. B. das Thema "Durchsetzung und Aggressivität" in den Entsprechungen zum Planeten Mars. In einer Beratung erweckt der Astrologe nun durch das Gespräch diese Ur-Emotionen - oder zumindest doch die "Erinnerung" an sie - in seinen Klienten.

Aus tiefenpsychologischer Sicht wäre dies eine ausreichende Erklärung dafür, warum Astrologen ihre Klienten in einem Beratungsgespräch "berühren", sie nachdenklich oder auf andere Weise betroffen machen können. In diesem "affektiven Feld" ist zudem die Intuition möglicherweise gesteigert, so weit (bei den sog. "guten" Astrologen zumindest), daß der Astrologe über das Allgemein-Menschliche hinaus individuell zutreffende Deutungen zu geben in der Lage ist. Möglicherweise sind ohne dieses "Feld" alle astrologischen Regeln nur von sehr eingeschränkter Bedeutung: Wir sind "resonant" für die von der Astrologie angebotenen Dimensionen, ähnlich wie viele Menschen für die von der Psychoanalyse angebotenen Dimensionen "resonant" sind.

Die Astrologie erhält ihre Faszination und ihre belegbare therapeutische Fruchtbarkeit durch die Verbindung mit einem "genialen" System großer Differenziertheit, das möglicherweise auch ohne "realen Bezug", allein schon durch die Attraktivität der angebotenen Dimensionen und seine "Gestalt", bei der Suche nach dem eigenen Selbst hilfreich sein kann. Die Symbole der Astrologie repräsentieren Ur-Themen des Menschseins, archetypische Sachverhalte. Nach JUNGs Erfahrung begünstigt die Aktivität von Archetypen das Vorkommen paranormaler Phänomene. Dies könnte die "Erklärung" für die an Medialität grenzende Intution "guter" Astrologen sein.

Eingefleischte Rationalisten werden hier einwenden, daß es wenig hilfreich sei, etwas "Dunkles", wie die Astrologie, durch Rückgriff auf etwas ebenso "Dunkles", nämlich die sog. außersinnliche Wahrnehmung, "erhellen" zu wollen. Doch auch Rationalisten "gründen" in bestimmten "Glaubens-Sätzen", wie wir gesehen haben, und ihre Grundlagen sind nicht weniger "dunkel"; sie sind nur gewohnter! Die Attraktivität des Gedankens, daß Medialität eine "Ursache" des Erfolgs der "guten" Astrologen sei, liegt darin, daß er einen für die Astrologie typischen Widerspruch aufzulösen gestattet:

Astrologenund ihre Klienten machen immer wieder die Erfahrung, daß die Deutung des Horoskops "stimmig" ist. Wissenschaftliche Untersuchungen,wie die hier vorgelegte Studie, kommen immer wieder zu dem Ergebnis, daß sich die Zusammenhänge entweder gar nicht oder aber nicht in der von Astrologen angenommenen Komplexität empirisch sichern lassen. Nun könnte es ja sein, daß es sich bei den Kosmos-Bios-Beziehungen tatsächlich nur um "rudimentär" zu nennende, "globale" Zusammenhänge handelt, daß aber die Verbindung dieser sehr einfachen tatsächlich bestehenden Zusammenhänge mit einem Symbol-System von "archetypischer Kraft" wie ein Katalysator für die Intuition einiger "guter" Astrologen wirkt, so daß diese in beinahe medialer Weise individuell zutreffende Deutungen zu geben in der Lage sind. - Es wäre dann auch verständlich, warum diese sog. "guten" Astrologen sogar von "falschen" Horoskopen zutreffende Deutungen geben können (siehe Kap. 4.4).

Als jemand, der von dieser Problematik persönlich besonders betroffen wird, erlaube ich mir, diese Arbeit mit einer sehr subjektiven, persönlichen Bemerkung zu schließen:
Die Wahrnehmung der "Stimmigkeit" von Horoskop-Deutungen in meiner Praxis als Astrologe kann ich mir nicht "ausreden" lassen, will ich nicht allgemein an meinen Sinnen zweifeln. - Ganz im Sinne der Definition der Tugenden des "Laien" folge ich hier meiner eigenen eingeborenen Vernunft, die sich durch die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen zur Astrologie - aufgrund zahlreicher alltäglicher Erfahrungen mit der Wissenschaft - nicht leichtfertig irre machen läßt. Ich nehme beide Formen der Wahrnehmung der Realität ernst, die "laienhafte", naive, und die "wissenschaftliche". Zwischen diesen beiden Wahrnehmungen klafft in der Astrologie ein großer Abgrund. Der Abgrund wird durch die Ergebnisse meiner eigenen Studie noch vergrößert. Eine Erklärung dieses Tatbestandes, die mich überzeugen soll, muß beiden Wahrnehmungen gerecht werden. Die zuletzt angeführte Hypothese ist eine Möglichkeit, diese beiden Formen der Wahrnehmung zu verbinden, d.h. beide als gültig bestehen zu lassen.


 Anhang:A Fragebogen
Literaturverzeichnis 
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