Kapitel 5.1: Auffassungen über die Natur astrologischer Aussagen Astrologie ist die symbolische Deutung räumlicher Verhältnisse und zeitlicher Abläufe in unserem Sonnensystem. Sie basiert auf der Grundannahme, daß die sich aus solchen Verhältnissen ergebenden Rhythmen mit physikalischen, biologischen und psychischen Abläufen in Organismen auf der Erde in Zusammenhang stehen (siehe Kapitel 2). Astrologie zu prüfen bedeutet, die Angemessenheit ihrer Grundannahme zu prüfen und die Angemessenheit der Deutungen zu prüfen. Die einzelnen Richtungen in der Astrologie unterscheiden sich hinsichtlich zweier Dimensionen, die relativ unabhängig voneinander sind: zum einen hinsichtlich der verwendeten Deutungselemente (siehe Anm. 32), darüberhinaus aber auch hinsichtlich ihrer Auffassungen darüber, von welcher Natur der in Rede stehende Zusammenhang sei. Da die Beantwortung dieser Frage für die Realisierung einer angemessenen Prüfung astrologischer Aussagen von Bedeutung ist, sollen die wesentlichen Auffassungen kurz referiert und diskutiert werden. 5.1 Auffassungen über die Natur astrologischer Aussagen
"Und in allen vorgebrachten Meinungen 1. Esoterische Astrologie: Astrologisches Wissen ist Offenbarungswissen. "Die Esoteriker erblicken in der überlieferten astrologischen Lehre eine von göttlichen Wesen oder erhabenen Denkern, wie Hermes Trismegistos, geoffenbarte kosmische Philosophie, die nur von Eingeweihten subjektiv nacherlebt und verstanden werden kann". (KNAPPICH 1967, 309) 2. Symbolische Astrologie: Die in dieser Arbeit dargestellte Astrologie gehört hierher. Es wird ein Deutungssystem vorausgesetzt, innerhalb dessen den verschiedenen astronomischen Gegebenheiten (den Planeten und deren Konstellationen, be stimmten Abschnitten des Raumes) eine symbolische Bedeutung zugeschrieben wird. Die Symbole repräsentieren grundlegende (prinzipielle, elementare) Strukturen, die Materielles, Seelisches und Geistiges gleichermaßen umfassen. 3. "Astrologie als Erfahrungswissenschaft" (KLOECKLER 1925): Astrologische Aussagen beruhen auf aus Beobachtungen abgeleiteten Regeln (etwa wie Regeln des richtigen Anbaus von Wein) über systematisch auftretende Koinzidenzen zwischen Himmelserscheinungen und Abläufen auf der Erde *99. Diese Beobachtungen führten zur Aufstellung eines Systems, welches in Form von Metaphern und Allegorien tradiert wurde und wird. 4. Astrologie als "Naturwissenschaft": Bei den Regeln der Astrologie handelt es sich um die Beschreibung von Wirkungen der Planeten auf Organismen analog anderen bekannten energie-schwachen physikalischen Wirkungen - so z. B. die sehr schwacheunddoch, aufgrund der "Sensibilität" des Radios, sehr effiziente Wirkung der Radiowellen, die ein Sender aussendet, auf das empfangende Radio. Die genaue Form dieser Wirkungen ist derzeit noch nicht bekannt und deshalb nur in Form von Metaphern formulierbar. Die Symbolische Astrologie und die Auffassung von Astrologie als einer Erfahrungswissenschaft wird von Astrologen häufig nicht auseinandergehalten. Es ist aber notwendig, eine Trennung vorzunehmen: Die symbolische Astrologie läßt, streng genommen, nur "Erweiterungen" (ggf. "Umformulierungen") der Bedeutung ihrer Elemente zu, keine völlige "Umdefinition". Dies war auch die Haltung des großen Astrologen dieses Jahrhunderts im deutschen Sprachraum, Thomas RING: "Eine neue Regel in der Astrologie wird zugelassen, wenn sie denknotwendig ist und sich in der Erfahrung bewährt hat." *100 Eine an "Sammlung von Beobachtungen" orientierte Astrologie ist dagegen jederzeit in der Lage, bei Vorliegen neuer Fakten die bisherigen Regeln (ggf. vollständig) zu ändern. Dies ist auch der Weg der sog. "Neo-Astrologie" (s.u.).
Auch die Auffassungen von Astrologie als Erfahrungswissenschaft
einerseits,Naturwissenschaft andererseits werden oft
nicht auseinandergehalten. Die dritte Auffassung ist
jedoch nicht festgelegt, was das zugrundeliegende "Weltbild"
angeht; der Begriff der Erfahrung ist dort weiter auszulegen.
Esoterische Astrologie
Astrologie als "Naturwissenschaft" "Ideologische" Schwierigkeiten dieser Art lösen sich oft auf überraschende Weise: Sie entpuppen sich als Scheinprobleme. - Seit die Materie im Zuge der immer weiter fortschreitenden Auflösung ihrer aus der Alltagserfahrung gewohnten Eigenschaften (z. B. der Solidität oder Undurchdringlichkeit) keine selbstverständliche Kategorie mehr ist, so daß wir eigentlich gar nicht (mehr) wissen, was Materie überhaupt genau ist, entpuppt sich z. B. der Materialismus-Idealismus-Gegensatz als ein solches Scheinproblem. Materie wird immer "immaterieller" (WEIZSÄCKER 1971, 289, 312 ff). Ähnliches könnte sich für die Kategorie "Wirkung" bzw. "Ursache" einmal erweisen; erkenntnistheoretisch sind sie ohnehin keine "Selbstverständlichkeiten". Vertreter der Auffassung von Astrologie als einer "Naturwissenschaft" operieren häufig mit Analogien zu physikalischen Modellvorstellungen (MODERSOHN 1983). Es wird dabei meist nicht gesehen, daß diese Modellvorstellungen in den Naturwissenschaften nur einen heuristischen Wert haben (haben sollten!) und ihren Sinn erst aus der Zuordnung zu bestimmten experimentellen Anordnungen und durch eindeutige "Meßvorschriften" erhalten. (Siehe Anm. 61 und 72) Häufig liegt dieser Auffassung eine unreflektiert übernommene Verabsolutierung des Wahrheitsanspruchs der Naturwissenschaften zugrunde. Insbesondere wird die Relativität der Kategorie "Kausalität" nicht gesehen, weshalb auch für astrologische Zusammenhänge nach glaubwürdigen Ursachen gesucht wird, die dann in nicht näher bestimmbaren "Strahlen" (in Analogie zu Radiowellen) gesehen werden (siehe auch Anm. 42). Mit diesen Einwänden soll nicht die Fruchtbarkeit von Forschungen in Frage gestellt werden, die mit naturwissenschaftlichen Mitteln Beziehungen zwischen Kosmos und Mensch untersuchen, ganz im Gegenteil: Solche Untersuchungen haben jedoch für die Astrologie den gleichen Stellenwert, wie ihn Biologie und Physiologie für die Psychologie haben: Ebensowenig wie sich das gedankliche und emotionale Geschehen im Menschen vollständig auf biophysikalische und biochemische Veränderungen im Körper (einschließlich des Gehirns) reduzieren läßt - insbesondere nicht im Lichte der Erkenntnisse der Systemtheorie -, ebensowenig läßt sich die Astrologie in der derzeit praktizierten Form vollständig auf physikalische "Wirkungen" der Gestirne reduzieren (NIEHENKE, 1981), wenngleich in beiden Fällen unbestreitbar enge Beziehungen bestehen.
Astrologie als Erfahrungswissenschaft Überblickt man die Forschungen der letzten Jahrzehnte, so gewinnt man den Eindruck, als beginne sich aus der hier gerade beschriebenen Auffassung von Astrologie auf der Basis einer besonders strikten Verfolgung eines rein empirischen Zugangs langsam eine ganz neue Art Astrologie zu entwickeln, eine "Neo-Astrologie" (GAUQUELIN 1983). Sie tendiert bei der "Erklärung" astrologischer Zusammenhänge zu naturwissenschaftlichen Konzepten, ohne jedoch der vereinfachenden Vorstellung von Planeten-Wirkungen in der oben beschriebenen Form zu verfallen. Mit der Symbolischen Astrologie hat sie kaum mehr gemeinsam als die Alchemie mit der Chemie, insbesondere im Hinblick auf die Methodik des Vorgehens: An die Stelle einer universalen, in Symbolen vermittelten "Theorie" über den Zusammenhang zwischen Kosmos und Mensch, tritt die Überprüfung von Einzelhypothesen über Korrelationen zwischen klar definierten astronomischen Einzelfakten und ebenso klar definierten isolierten Merkmalen einer Person, also Statistik (GAUQUELIN 1983, STARK 1985, EYSENCK/NIAS 1982, DWYER 1983a+b). Und es werden ausschließlich solche Regeln für die "Deutung" des Horoskops akzeptiert, die einer statistischen Überprüfung standgehalten haben bzw. die auf diese Weise erst entwickelt wurden. Diese Art der "Astrologie" ist untrennbar verknüpft mit dem Namen Michel GAUQUELIN. In mehr als 40jähriger Pionierarbeit unterzog er, zusammen mit seiner Frau Francoise, weite Teile der Klassischen Astrologie einer statistischen Analyse, indem er astrologische Regeln ("Einzelhypothesen"), die implizit oder explizit ja immer Aussagen über Häufigkeiten machen, mit den entsprechenden Planeten-Konstellationen korrelierte. Seine Arbeiten werden im 6. Kapitel ausführlich dargestellt werden.
Symbolische Astrologie Am leichtesten läßt sich das, was sie "eigentlich" sind, in der Sprache der Systemtheorie formulieren, wenn man die "Ebene der Wirklichkeit", deren Struktur die Astrologie spiegelt, als die Ebene der "System-Eigenschaften" versteht. Wie weit das tatsächlich durchzuhalten ist, kann nur eine sorgfältige vergleichende Studie klären. Im Rahmen dieser Arbeit ist das leider nicht zu leisten. In ihrer Not, den intuitiv erfaßten Strukturen der Realität, die sich im Horoskop spiegeln, keine allgemein verständliche "Ebene" zuordnen zu können (als die Ebene der "Zeichen der Götter", wie in Kapitel 1 beschrieben, verloren war), haben Astrologen zu den verschiedensten "Erklärungen" gegriffen, den Kosmos-Bios-Zusammenhang plausibel erscheinen zu lassen. Thomas RING lehnte sich, wie beschrieben, an das von R.H. FRANCE entwickelte System einer ganzheitlich-verstehenden Biologie an - wir können dies als einen Spezialfall des systemtheoretischen Ansatzes verstehen (s.u.). RIEMANN (1976) postuliert ein "Kosmisches Unbewußtes", das er, metaphorisch gesprochen, noch "unterhalb" der Ebene des von C.G. JUNG (1976) konzipierten "Kollektiven Unbewußten" ansiedelt, wobei dieses "Kollektive Unbewußte" von JUNG bereits als eine allgemeinere, "tiefere" Schicht zum "persönlichen Unbewußten" im Sinne von Sigmund FREUD zu verstehen ist. Folgerungen für die Prüfung astrologischer Aussagen Esoterische Astrologie bedarf keiner Prüfung und ist ihrer per definitionem auch nicht fähig. Der Versuch, den Kosmos-Bios-Zusammenhang physisch-kausal aufzufassen, ist unvereinbar mit der Art, wie Astrologie praktisch betrieben wird: Entweder die Astrologie, wie wir sie betreiben, ist richtig, dann kann sie nicht auf "Wirkungen" der Planeten auf Organismen zurückgeführt werden - oder die Astrologie basiert ausschließlich auf solchen (bisher noch nicht erkannten) Wirkungen, dann kann die Art, in der wir sie betreiben, nicht richtig sein (NIEHENKE 1981). Am befriedigendsten im Sinne des heutigen Wissenschaftsverständnisses ist die sog. "Neo-Astrologie". Streng genug betrieben sind ihre Ergebnisse genau so "sicher" wie die Methoden der Statistik, auf die sie sich ausschließlich stützt - die einzige Schwierigkeit besteht in einer möglicherweise fehlerhaften oder inadäquaten Verwendung statistischer Prozeduren. Die von ihr benutzten Grunddaten sind eindeutig operationalisiert (z. B.: Mitglied der Akademie Francaise, siehe Kapitel 6), die Interpretation der Ergebnisse folgt den auch in der Psychologie allgemein akzeptierten Regeln. Es verwundert nicht, daß Wissenschaftler wie EYSENCK, der selbst an der Entwicklung der heute gültigen "Regeln wissenschaftlichen Forschens" in der akademischen Psychologie maßgeblichen Anteil hat, die Ergebnisse der "Neo-Astrologie" für die einzigen ernstzunehmenden Ergebnisse im Bereich der astrologischen Forschung überhaupt hält (EYSENCK/NIAS 1982, 294ff). Die GAUQUELINs untersuchen jedoch nicht wirklich die Astrologie, zumindest nicht diejenige, die ich als Symbolische Astrologie weiter oben skizziert habe. Wir finden in ihren Schriften auch keine Erörterungen über die Angemessenheit ihrer Operationalisierungen der Bedeutung der astrologischen Symbole *101. Dieses Problem ergibt sich für sie gar nicht, da sie zu den Entsprechungen auf rein empirischem Wege gelangen. Dem quantitativ-statistischen Ansatz zufolge kommen sie dann (zwangsläufig) dazu, die Bedeutung dieser Symbole als eine Sammlung von Entsprechungen aufzufassen, die sie in bezug auf die psychologische Aussage-Dimension zu Listen von "key-words" zusammenfassen (siehe Kap. 6) . Wie wir gesehen haben, ist es wahrscheinlich, daß dabei etwas von dem, was diese Symbole ausdrücken, verlorengeht (Kapitel 4). Wenn man, eingedenk dieser Begrenzung, ihre Ergebnisse mit der nötigen Vorsicht interpretiert, so sind sie von unschätzbarem Wert, zeigen sie doch mit gegenwärtig in den etablierten Wissenschaften allgemein anerkannten Mitteln, daß die Existenz eines Zusammenhangs zwischen der kosmischen "Situation" im Moment der Geburt eines Menschen und dem Leben dieses Menschen mit gleichem Recht eine "wissenschaftliche Tatsache" genannt werden darf wie alle anderen in Natur- und Sozialwissenschaften erforschten Zusammenhänge, deren "Existenz-Beweis" sich auf statistische Untersuchungen stützt. Wie ERTEL (1986) überzeugend darlegt, bilden die Ergebnisse aller GAUQUELIN'schen Untersuchungen ein "Netzwerk von Relationen, das sich mit seiner dynamischen Struktur von anderen empirisch-theoretischen Netzwerken der Naturwissenschaft, die sich historisch bewährt haben, in den Grundzügen nicht unterscheidet." (109) Diese Tatsache, daß die Ergebnisse mit anerkannten wissenschaftlichen Methoden gewonnen wurden, wirkt auf viele Wissenschaftler aus dem "Lager der Gegner" der Astrologie besonders provozierend. Daher wird die Arbeit der GAUQUELINs auch erbittert bekämpft (siehe EYSENCK/NIAS 1982, 279ff), doch: "Dies übersehen zu haben (die Netzstruktur der GAUQUELIN'schen Ergebnisse, Anm. d. Verf.) gehört zu den größten Fehlern der Komitees, die glaubten, sich ihrer Aufgabe (der Widerlegung GAUQUELINs, Anm. d. Verf.) mit einem einzigen Überprüfungsfall entledigen zu können. Gegenüber den Dimensionen des empirisch bereits ausgebauten GAUQUELIN-Programms vermag ein punktueller Einzeltest nur wenig auszurichten." (ERTEL 1986, 109)
Ähnlich wie Psychologen, die ausgehend vom dem
Bedürfnis, das Phänomen der menschlichen
Intelligenz zu untersuchen, dazu übergingen, sich
den Gegenstand ihrer Untersuchung selbst zu "konstruieren":
Intelligenz ist das, was der Intelligenztest mißt
(siehe Kapitel 3), konstruieren sich auch die GAUQUELINs,
ausgehend von dem Bedürfnis, die Astrologie zu
untersuchen, ihren Gegenstand selbst durch die Art
ihrer "Operationalisierungen". In beiden
Fällen besteht die Gefahr, daß der eigentliche
Untersuchungsgegenstand dabei "verfehlt"
wird, daß man die an einem eingeschränkten
Begriff des Gegenstandes gewonnenen Erkenntnisse, deren
Bezug zum ursprünglichen Gegenstand im dunkeln
bleibt, auf den Gegenstand als Ganzen überträgt. |
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Kapitel 4.4 |
Kapitel 5.2 |